Wie pathogene Genvarianten Herzversagen verursachen
Kardiomyopathien sind keine einheitliche Erkrankung. Vielmehr schwächen Gendefekte die Herzmuskulatur der jeweiligen Patient*innen auf ganz unterschiedliche Art und Weise, berichtet ein internationales Konsortium jetzt in „Science“. MDC-Forscher Norbert Hübner ist einer der Hauptautoren.
Welche molekularen und zellulären Mechanismen bei Menschen mit Kardiomyopathien zu Herzversagen führen, bestimmt die spezifische Genvariante, die der jeweilige Patient oder die jeweilige Patientin in sich trägt. Das ergaben die ersten umfassenden Einzelzell-Analysen von Zellen aus gesunden und kranken Herzen, berichten 53 Forschende aus sechs Ländern in Nordamerika, Europa und Asien in der Fachzeitschrift „Science“.
Je nach genetischer Variante ändern sich die Zusammensetzung der Zelltypen und Profile der Genaktivierung. Mithilfe der Daten könne man gezielte Therapien entwickeln, sagen die Forscher*innen. Diese würden den jeweiligen Gendefekt berücksichtigen, der die Kardiomyopathie des Patienten oder der Patientin verursacht.
Das Team untersuchte 880.000 einzelne Herzzellen
Die aktiven Gene in rund 880.000 einzelnen Zellen aus 61 erkrankten Herzen und 18 gesunden Referenzherzen zu untersuchen, war ein komplexes Unterfangen. Möglich war das nur in einem interdisziplinären Team. Die Organe haben das Brigham and Woman’s Hospital in Boston, USA, die kanadische University of Alberta und das Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen, die Ruhr-Universität Bochum und das Imperial College in London, UK, zur Verfügung gestellt.
Zu den Letztautor*innen, die das Projekt geleitet haben, gehören Christine Seidman, Professorin für Medizin und Genetik an der Harvard Medical School und Kardiologin am Brigham and Woman’s Hospital; Jonathan Seidman, Professor für Genetik an der Harvard Medical School; Norbert Hübner, Professor für Herz-Kreislauf- und metabolische Erkrankungen am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) und an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Dr. Gavin Oudit, University of Alberta; Professor Hendrik Milting, Herz- und Diabeteszentrum NRW in Bad Oeynhausen und Ruhr-Universität Bochum; Dr. Matthias Heinig, Helmholtz Munich; Dr. Michela Noseda vom National Heart and Lung Institute am Imperial College London und Professorin Sarah Teichmann, Wellcome Sanger Institute in Cambridge, UK. Die drei Erstautor*innen sind Dr. Daniel Reichart (Harvard), Eric Lindberg und Dr. Henrike Maatz (beide MDC).
Ein Leiden mit zahlreichen Ursachen
Die Forscher*innen haben sich auf die dilatative Kardiomyopathie (DCM) konzentriert. Das ist die häufigste Form der Herzschwäche, die zu Herztransplantationen führt. Bei dieser Krankheit erweitern sich die Wände der Herzkammern (Dilatation), insbesondere im linken Ventrikel – der Herzkammer, die für das Pumpen besonders wichtig ist. Die Muskulatur des Herzens erschlafft, das Herz kann sich weniger gut zusammenziehen und Blut pumpen. Mitunter versagt es ganz. Das Konsortium hat Gewebe von Patient*innen mit verschiedenen Formen erblicher Kardiomyopathien untersucht; die jeweiligen genetischen Veränderungen kommen bei Proteinen mit unterschiedlichen Funktionen im Herzen vor. Die Analysen deuten darauf hin, dass sie auch unterschiedliche Reaktionen auslösen.
Soweit wir wissen, ist es die erste derartige Analyse von Herzgewebe. Wir hoffen, dass dieser Ansatz auch auf andere genetisch bedingte Herzkrankheiten anwendbar ist.
Norbert Hübner, Hauptautor der Studie
„Wir haben krankheitsauslösende Genvarianten in Herzgewebe auf Einzelzell-Ebene untersucht. So konnten wir präzise kartieren, wie bestimmte pathogene Varianten zu Funktionsstörungen des Herzens führen“, sagt Norbert Hübner, einer der Hauptautoren der Studie. „Soweit wir wissen, ist es die erste derartige Analyse von Herzgewebe. Wir hoffen, dass dieser Ansatz auch auf andere genetisch bedingte Herzkrankheiten anwendbar ist.“
Die Wissenschaftler*innen haben die verschiedenen Mutationen in jedem Herzen genau charakterisiert und sie sowohl untereinander als auch mit gesunden Herzen und solchen, bei denen man die Ursache für die Dilatation nicht kannte, verglichen. Hierfür haben sie sich jeden Zelltyp des Herzens und auch die zahlreichen Subtypen einzeln vorgenommen und mit Methoden der Einzelzellsequenzierung analysiert. Kein Labor könnte die so entstehenden Datenberge allein bewältigen. Nur dank der engen Zusammenarbeit von Spezialisten verschiedener Disziplinen entstand aus Myriaden Mosaiksteinchen ein kohärentes Bild. Die Studie fügt sich zudem in die Arbeit des internationalen Konsortiums zum „Human Cell Atlas“ (HCA) ein, das jeden Zelltyp im menschlichen Körper erfassen und so eine Grundlage schaffen will, um die menschliche Gesundheit zu verstehen und um die Diagnose, Kontrolle und Behandlung von Krankheiten zu verbessern.
Quelle: MDC