Neue Wirkstoffkandidaten in Bakterien entdeckt

In Bakterien schlummert grosses Potential für medizinische Wirkstoffe. Mit computerbasierten Genomanalysen haben Forschende der ETH Zürich eine neue Klasse von Naturstoffen aufgespürt, die eines Tages als Antibiotika dienen könnten.

Ob Tiere, Pflanzen, Pilze oder Bakterien: Jeder Organismus verfügt über ein Arsenal an chemischen Verbindungen, mit denen er mit der Umwelt kommuniziert, Partner anlockt oder Feinde abschreckt. In Bakterien, die zu den ältesten Lebewesen der Erde gehören, hat die Evolution über zig Millionen Jahre eine Fülle an komplexen chemischen Strukturen hervorgebracht.

Viele dieser Stoffwechselprodukte haben sich als potente Wirkstoffe für den Menschen erwiesen. Rund ein Drittel der heute zugelassenen Medikamente sind von Naturstoffen abgeleitet – darunter auch die meisten Antibiotika.

Den Bakterien ihre chemischen Geheimnisse zu entlocken, ist allerdings gar nicht so leicht: Viele Bakterienarten lassen sich nicht oder nur mühevoll im Labor kultivieren. Die für die Medizin interessanten Naturstoffe produzieren sie zudem oft nur in Gemeinschaft mit anderen Organismen.

Mittels moderner DNA-Sequenzierungsmethoden und Bioinformatik lässt sich die Suche nach neuen Wirkstoffen deutlich beschleunigen. Nun haben Forscher:innen um Jörn Piel, Professor für Mikrobiologie an der ETH Zürich, auf diese Weise einen neuen Syntheseweg für Peptid-Naturstoffe entdeckt, der in Bakterien weit verbreitet zu sein scheint. Ihre Resultate veröffentlichten sie kürzlich im Fachjournal PNAS.

Trefferliste Schritt für Schritt eingeschränkt

Fündig wurden die Wissenschaftler:innen, indem sie riesige digitale Bibliotheken bakterieller Genome durchstöberten: zuerst nach Bauplänen für kleine Eiweissmoleküle (Peptide) dann nach Bauplänen für Enzyme, welche diese Peptide verändern können. Denn durch die enzymatischen Veränderungen entstehen in den Bakterien komplexe Naturstoffe mit oftmals besonderen Aktivitäten oder erhöhter Stabilität.

Weil die Baupläne der Peptide charakteristische Muster aufweisen, konnten die Forscher:innen diese mittels Suchalgorithmen am Computer aufspüren. Der Clou ist, dass die Baupläne für solche Peptid-Naturstoffe im Genom in kompakter Form hinterlegt sind. In unmittelbarer Nähe des Peptid-Gens liegen auch die Gene für Enzyme.

«Weil diese Enzyme sehr unterschiedlich funktionieren, bergen Peptid-Naturstoffe ein riesiges Potential für neue Wirkstoffe», sagt Florian Hubrich, einer der Hauptautor:innen der Studie.

Von den Bauplänen zum Naturstoff

Die Enzyme waren denn auch der Schlüssel zur neu entdeckten Naturstoffklasse: Basierend auf den Bauplänen der verschiedenen Enzyme unterteilten die Forscher:innen die Kandidatenliste in ähnliche Gruppen. Dabei fiel auf, dass die Funktion der Enzyme in einer der grössten Gruppe noch unbekannt war.

Bei drei Naturstoff-Kandidaten aus dieser Gruppe überprüften die Forscher:innen die Computervoraussagen anschliessend im Labor. Sie setzten die entsprechenden Gene in Laborbakterien ein und analysierten, welche Substanzen die Mikroorganismen tatsächlich herstellten. So fanden sie heraus, dass es sich bei der neuen Naturstoffklasse um ein ringförmiges Eiweissmolekül handelt, das eine Fettsäure als Anhängsel trägt.

Mit Fettsäuren bestückte Peptide, sogenannte Lipopeptide, sind bereits als Wirkstoffe bekannt. So hat beispielsweise das Antibiotikum Daptomycin, das biotechnologisch hergestellt wird, eine sehr ähnliche Struktur. Allerdings ist die Produktion dieses Antibiotikums noch immer sehr aufwändig.

Das Bakterium, in dem das Antibiotikum hergestellt wird, produziert nämlich mehrere Naturstoff-Varianten mit unterschiedlich langen Fettsäuren, wovon nur eine Variante als Medikament eingesetzt wird. Die Aufreinigung von Daptomycin aus den Bakterienzellen ist entsprechend mühsam. Genau hier sieht Jörn Piel den grossen Vorteil der neu entdeckten Naturstoffklasse.

Tests zu Antibiotika-Wirkung noch ausstehend

Daptomycin und andere Lipopeptide werden im Ursprungsorganismus von einem riesigen, eigens dafür zuständigen Enzym aus den entsprechenden Aminosäuren zusammengebaut. Diese Riesenenyzme sind für Gentechnik-Verfahren schwer zugänglich. Dagegen lassen sich die neuen Peptid-Naturstoffe leichter mit gentechnisch veränderten Bakterien herstellen. Darüber hinaus lassen sich mit dieser Methode auch neue Naturstoffvarianten erzeugen.

Die Naturstoff-Baupläne können die Forscher:innen in wenigen Schritten gezielt modifizieren, um «massgeschneiderte» Wirkstoffe herzustellen. So können sie die Abfolge der Aminosäuren des Peptid-Rückgrats durch Mutationen im entsprechenden Gen anpassen. Die grossangelegte Genomanalyse hat zudem viele neue Enzymkandidaten identifiziert, die sich nach dem Baukastenprinzip mit einem Peptid-Gen kombinieren lassen.

«Gerade weil für Pharmaunternehmen oft kein finanzieller Anreiz besteht, neue Antibiotika zu entwickeln, kann die Forschung den ersten Schritt der Wirkstoffsuche übernehmen» Anna Vagstad, Co-Studienleiterin

In der vorliegenden Studie haben die Wissenschaftler:innen bereits drei Enzyme beschrieben, die jeweils unterschiedlich lange Fettsäuren mit einem Peptid verknüpfen. «Erste Versuche zeigen, dass sich solche massgeschneiderten Lipopeptide im Labor tatsächlich erzeugen lassen», sagt Anna Vagstad, Co-Leiterin der Studie. Der nächste Schritt ist nun, die biologische Wirkung der neuen Substanzklasse zu untersuchen.

«Gerade weil für Pharmaunternehmen oft kein finanzieller Anreiz besteht, neue Antibiotika zu entwickeln, kann die Forschung zumindest diesen ersten Schritt der Wirkstoffsuche übernehmen», so Vagstad.

Quelle: ETH

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