Neue Wege für weniger Antibiotika in der Grundversorgung
Die Antibiotikaverschreibung liesse sich mit Hilfe von Krankenkassendaten überwachen. Und mit einem einfachen Test reduzieren.
In der Humanmedizin werden am meisten Antibiotika in der Grundversorgung eingesetzt, besonders häufig bei Atem- und Harnwegsinfekten. Doch gerade bei diesen Krankheiten erhalten Patientinnen und Patienten oft unnötigerweise Antibiotika. Das fördert die Entstehung von Antibiotikaresistenzen.
Deshalb wollen Forschende der Universität Basel um Heiner C. Bucher gezielt Hausärztinnen und -ärzte sensibilisieren, die besonders oft Antibiotika verschreiben. Das Problem: Deren Antibiotikaeinsatz wird nicht systematisch erfasst. Doch Bucher und sein Team haben in einem Projekt des vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützten Nationalen Forschungsprogramms «Antimikrobielle Resistenz» (NFP 72) eine Lösung gefunden: Aus den Abrechnungsdaten von Krankenkassen lässt sich für einzelne Patientinnen und Patienten herauslesen, wann, für was und in welcher Praxis sie ein Antibiotikum erhalten haben. Analysiert man genügend viele Patientendaten, ermöglicht das Rückschlüsse auf die Verschreibungspraxis von Ärztinnen und Ärzten.
Monitoring ohne Zusatzaufwand für Ärztinnen und Ärzte
Für ihre Studie hatten die Forschenden Zugriff auf anonymisierte Daten der drei grössten Schweizer Versicherer. «Auch wenn wir weder Namen noch Adressen sahen, konnten wir alle Antibiotikaverschreibungen bestimmten Ärztinnen und Ärzten zuordnen», sagt Projektmitarbeiterin Soheila Aghlmandi. «Und Äztinnen und Ärzten, die sehr viel Antibiotika verschreiben, konnten wir ein Feedback zukommen lassen, ohne sie persönlich zu identifizieren». Dafür mussten Bucher und sein Team jedoch zuerst automatisierte Abläufe entwickeln, die alle notwendigen Informationen aus den unterschiedlichen Datenformaten und -strukturen der jeweiligen Versicherer zusammenführen – angesichts der über 1.3 Millionen Patientinnen und Patienten mit insgesamt mehr als 4 Millionen Konsultationen ein enormer Aufwand.
Doch die Forschenden fanden Lösungen für alle technischen Hürden. So liessen sie in ihrem Projekt über 1500 Ärztinnen und Ärzten mit eher hohem Antibiotikaeinsatz jeweils alle drei Monate eine Rückmeldung zukommen. Zudem informierten sie diese – ebenfalls anonymisiert – zu Beginn der Studie über die aktuelle Resistenzlage und den durchschnittlichen Antibiotikaverbrauch anderer Arztpraxen in ihrer Region. Innerhalb der Studiendauer von zwei Jahren führten die Massnahmen allerdings zu keiner Verbesserung der Verschreibungspraxis. Dennoch ist Aghlmandi zufrieden: «Wir haben gezeigt, dass man den Antibiotikagebrauch in der Grundversorgung kontinuierlich erfassen könnte», so Aghlmandi. «Und zwar so, dass Hausärztinnen und -ärzte keinerlei Mehraufwand haben.» Die Methode liesse sich zu einem schweizweiten Monitoringsystem ausbauen. Allerdings, so betont Aghlmandi, müssten dafür alle Krankenversicherer die entsprechenden Daten liefern, und es müssten zunächst die technischen Lösungen erarbeitet werden, um diese zusammenzuführen.
Ein Schnelltest reduziert Antibiotikaverschreibungen
Eine andere Massnahme zur Optimierung der Antibiotikaverschreibungen bei Atemwegsinfekten haben Forschende des Waadtländer Universitätsspitals (CHUV) um Noémie Boillat Blanco in einem weiteren NFP 72-Projekt getestet. Ihr Ansatz fokussiert auf die Diagnose. Denn oft können Ärztinnen und Ärzte nicht allein aufgrund der Symptome feststellen, ob eine bakterielle Lungenentzündung vorliegt, die eine Antibiotikatherapie erfordert, oder eine nichtbakterielle Infektion, die von selbst wieder abklingt. Boillat Blanco und ihr Team entwickelten ein Vorgehen, das einen Lungen-Ultraschall mit einem Procalcitonin-Test kombiniert, der zwischen bakteriellen und viralen Infekten differenzieren hilft. Da jedoch beide Methoden für sich genommen zu viele unsichere Diagnosen liefern, kombinierten sie ihre Resultate mit einem Algorithmus, um so die Präzision zu erhöhen.
In einer mehrmonatigen Praxisstudie wandten dreissig Hausärztinnen und -ärzte das neue Vorgehen bei allen Patientinnen und Patienten an, die mit Symptomen eines Atemwegsinfektes vorstellig wurden. Tatsächlich verschrieben sie rund ein Drittel weniger oft Antibiotika als ebenfalls dreissig Ärztinnen und Ärzte in einer Vergleichsgruppe. Doch überraschend stellte sich heraus, dass für eine Reduktion in dieser Grössenordnung bereits die Anwendung des Procalcitonin-Tests allein ausreicht. In der Tat war das Procalcitonin-Ergebnis bei der Mehrheit der Patienten niedrig, und in diesen Fällen wurden keine Antibiotika empfohlen. Eine zusätzliche Ultraschalluntersuchung wurde selten durchgeführt, da sie nur bei Patienten mit einem hohen Procalcitonin-Wert vorgenommen wurde.
Gleiche Behandlungsqualität, gleiche Kosten
Auf die Genesung der Patientinnen und Patienten hatten die geringeren Antibiotikaverschreibungen keinerlei negativen Auswirkungen. «Das heisst, wir können mit dem Procalcitonin-Test die Antibiotikaverschreibungen deutlich reduzieren, ohne dass die Behandlungsqualität darunter leidet», sagt Noémie Boillat Blanco. Aufgrund dieser Ergebnisse hat die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie die Anwendung des Procalcitonin-Tests in ihre Leitlinien zum Behandlungsmanagement von Lungenentzündungen aufgenommen.
Ob er sich durchsetzt, hängt jedoch nicht zuletzt davon ab, ob ihn die Krankenkassen bezahlen. Um dies zu erreichen, hat das Team um Boillat Blanco in einer weiteren Studie gezeigt, dass das Vorgehen nur geringe Kosten verursacht und wirtschaftlich ist. Der Test könnte also bald schweizweit in grösserem Umfang angewendet werden. Ob und wie sich dies insgesamt auf die Antibiotikaverschreibungen von Hausärztinnen und -ärzten auswirkt, liesse sich wiederum mit einem schweizweiten Monitoring überprüfen, wie es mit der Methode von Heiner C. Bucher und seinem Team möglich ist.
Quelle: SNF